Interviewreihe im Jubiläumsjahr

Zeitzeugen-Berichte aus 75 Jahren Verbandsarbeit

Diese Personen haben die Entwicklung des BBS, genauer gesagt den Behinderten- und Rehabilitationssport in Baden, mit all seinen Facetten miterlebt und mitgestaltet. In den kommenden Monaten werden auf dieser Seite die Gespräche eingestellt. Sie erhalten Einblicke in Geschichten und Perspektiven, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Schauen Sie rein und lesen Sie nach!

Interview mit Michael Eisele - Geschäftsführer des BBS seit 1993

„Der BBS ist mehr als Sport“

Michael Eisele ist seit 1993 hauptamtlicher Geschäftsführer des Badischen Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit ihm über die letzten 32 Jahre, in denen sich der bis dahin rein ehrenamtlich geführte BBS zu einem professionell organsierten und arbeitenden Verband hin entwickelte, der im Jubiläumsjahr zu den größten Behindertensportverbänden in Deutschland gehört.

Du bist bereits seit 1993 beim BBS. Wie bist Du zum Verband gekommen und wie hat sich Dein Tätigkeitsfeld entwickelt?

Nach meinem Sportwissenschaft-Studium war der Plan, im organisierten Sport tätig zu werden. Bestenfalls in einem Bereich, der möglichst vielfältig und mit größtmöglichem Gestaltungs- und Entwicklungspotential ausgestattet ist. Rückblickend war es für mich ein absoluter Glücksfall, dass der BBS just zu dieser Zeit einen hauptamtlichen Geschäftsführer suchte. Aus Wunsch und Hoffnung, wurde für mich mit den Jahren ein Traumjob.

Der BBS zählte 12.000 Mitglieder, 150 Mitgliedsvereine und veranstaltete im Jahr gerade einmal acht Aus- und Fortbildungslehrgänge. Bis Ende der 90er Jahre bestand meine Arbeit aus sehr, sehr viel Verwaltung. Abrechnungen mit Vereinen und Berufsgenossenschaften, vier Ausgaben der Mitgliederzeitschrift Sportforum b im Jahr inklusive Inhalte, Redaktion und Vertrieb: Alles lief über die Geschäftsstelle, die bis Ende der 90er Jahre nur aus meiner Person bestand. Demzufolge blieb nur wenig Zeit für eine Weiterentwicklung, die Umsetzung von Ideen usw. Schlussendlich waren es die perspektivische Fortentwicklung des hauptamtlichen Personals, Veränderungen im BBS-Präsidium und der Umzug in die neuen Geschäftsräume nach Sandweier, die auch mir persönlich nach und nach Möglichkeiten eröffneten, neue Aufgabenschwerpunkte zu setzen. Da waren z.B. die Verbesserung der Außenwirkung des Verbandes, die Kommunikation mit unseren Vereinen und anderen Sportverbänden, aber auch mit Institutionen und Einrichtungen außerhalb des organisierten Sports, die Übungsleiterausbildung, die Rolle des Breiten- und des Paralympischen Spitzensports u.v.a.m.

Im Jubiläumsjahr 2025 sind beim BBS neun hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Hinzu kommen zwei Minijobs und elf Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Para-Sport. Der Verband hat 40.000 Mitglieder in über 400 Mitgliedsvereinen.

Welche wesentlichen Veränderungen haben den Verband von den Anfängen bis heute geprägt?

Eine der wesentlichen Veränderungen über die Jahrzehnte hinweg ist sicherlich die schrittweise Entwicklung des Personals. Die Einführung des Hauptamtes hat maßgeblich zum großen Erfolg des Verbandes beigetragen. Dabei folgte die Personalentwicklung – spätestens mit Beginn der 2000er Jahre – immer den jeweiligen Aufgaben und Zielen. D.h., wir hatten eine Idee und einen Plan, für dessen Umsetzung es zusätzliche personelle Ressourcen erforderte und erst dann suchten wir nach entsprechend qualifizierten Personen.

Nachdem ich 1993 der erste hauptamtliche Mitarbeiter war, kam zehn Jahre später Holger Kimmig hinzu, zunächst als Teilzeitkraft. In dieser Zeit erhielten wir vom Landessportverband Baden-Württemberg auch die Anerkennung als „Zivildienststelle im Sport“, die wir im Jahr 2003 erstmals besetzen konnten. Richtungsweisend war aus meiner Sicht aber die Anerkennung als Ausbildungsstelle für die Berufe „Sport- und Fitnesskaufmann/-frau“ und „Büromanagement“. So konnten wir ganz gezielt für unsere Bedarfe aussuchen und ausbilden. Von 2005 bis 2014 bildeten wir mit Holger Kimmig, Christine Engel und Tanja Wolf drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die auch im Jubiläumsjahr 2025 allesamt noch für den BBS tätig sind und zu den Korsettstangen der BBS-Geschäftsstelle gehören. Dies gilt ganz genauso für Eva Klavzar (2015), Kim Früh (2017), Laura Wienk-Borgert (2019) und zuletzt Fiona Burg (2022). „Einmal BBS, immer BBS…“: Der Verband kann froh und stolz auf das Mitarbeiter-Team in der BBS-Geschäftsstelle sein.

Die „Lehre“ auf hauptamtliche Beine zu stellen, gehört sicherlich auch zu den wichtigsten und bedeutsamsten Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Eine Betrachtung der „Aus- und Fortbildung“ im BBS kann nicht geschehen, ohne den Namen Bernhard Kurz zu nennen, der herausragenden Persönlichkeit in der 75jährigen Verbandsgeschichte des BBS. Bernhard war von 1968 an bis zu seinem Tod 2020 ununterbrochen Mitglied des Verbands-Präsidiums und hat den BBS in 52 Jahren, vor allem in seiner Funktion als Lehrwart, geprägt wie kein anderer. Das Aus- und Fortbildungswesen des BBS, „sein Lieblingskind“, hat er bis kurz vor seinem Tod in außerordentlicher Weise mitgestaltet, entwickelt und geprägt. Hierzu zählt im Übrigen auch der kontinuierliche und schrittweise Übergang der „Lehre“, von der ehren- auf die hauptamtliche Ebene. Dieser Prozess begann bereits im Jahr 2006 und ist beim BBS seit 2011 mit dem Namen unserer Lehrreferentin Eva Klavzar verbunden.    

Auch der Rehabilitationssport ist einer der Bereiche, dessen Veränderungen über die letzten 50 Jahre hinweg die Verbandsentwicklung maßgeblich beeinflusst haben. Entwickelt hat sich der Rehasport aus dem Versehrtensport heraus. Mit den Jahren ist er zu einer zentralen Säule des Verbandes und des gesamten organisierten Behindertensports geworden. Anfang der 2000er Jahre erfolgte eine Art Quantensprung. Auslöser hierfür war die gesetzliche Verankerung des Rehabilitationssports mit der Verpflichtung der Kostenträger, diese Leistung sicherzustellen. Eine enorme Zunahme der Nachfrage an Rehasportangeboten in unseren Vereinen war die Folge, ebenso die zunehmende Kommerzialisierung des Rehasports. Immer mehr Einrichtungen, die nicht dem organisierten Sport angehörten, wollten nun als „Leistungserbringer für Rehabilitationssport“ finanziell partizipieren. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten stets versucht, diese rein kommerziell orientierten Strukturen aus dem Sport fernzuhalten. Ungeachtet unserer klaren Positionierung in dieser Frage, viele sagen vielleicht auch gerade deshalb, entwickeln sich die Teilnehmer- und Mitgliederzahlen im Rehasport im BBS seit Jahrzehnten kontinuierlich nach oben (Ausnahme Corona).

Die sich über die Jahre und Jahrzehnte Schritt für Schritt verändernde Wahrnehmung und Wertschätzung des Para-Sports in der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der baden-württembergischen Sportfamilie, stehen für mich auch stellvertretend für die gesamte Verbandsentwicklung. Noch bis in die Mitte der 1990er Jahre fristete der Para-Sport ein Nischendasein. Die mediale Berichterstattung war gering, man blieb meistens unter sich. Selbst nach den Paralympics im Jahr 2000 in Sydney wurden beispielsweise Paralympicssieger nicht in relevanten Sportsendungen wie z.B. der Sportschau oder dem Aktuellen Sportstudio interviewt, sondern im Gesundheitsmagazin Praxis. Die Förderung des Spitzensports für Sportlerinnen und Sportler mit einer Behinderung in Baden-Württemberg erfolgte auf einem sehr niedrigen Niveau pauschal, ohne jegliche Kader- und Förderstruktur. Dies änderte sich erst mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Para-Sport Baden-Württemberg (ARGE) im Jahr 2013, einem Zusammenschluss von BBS und Württembergischem Behinderten- und Rehabilitationssportverband (WBRS). Gleichzeitig wurde unserer Leistungssportreferent Holger Kimmig als Vertreter des Para-Sports in den Präsidialausschuss Leistungssport im Landessportverband Baden-Württemberg (PAuLe) berufen, ein strukturiertes Förderkonzept mit ausgewählten Schwerpunktsportarten wurde entwickelt und finanziell gut ausgestattet. Heute, im Jahr 2025, wird der Para-Sport in Baden-Württemberg wertgeschätzt und innerhalb der etablierten Sportstrukturen gleichberechtigt gefördert. Paralympische Athletinnen und Athleten haben wie olympische Sportlerinnen und Sportler Zugang zu allen Spitzensporteinrichtungen des Landes. Die Paralympischen Spiele 2024 waren für die mediale Berichterstattung, auch in Baden-Württemberg, beispielgebend.  

Gibt es ein besonders prägendes Ereignis, das Dir in Erinnerung geblieben ist?

Nein, das eine, besonders prägende Ereignis, gab es für mich nicht. Es gab aber viele Ereignisse und Entscheidungen, die man rückblickend aus meiner Sicht als Meilensteine bezeichnen kann.

Da ist zuallererst der ehemalige Präsident und heutige Ehrenpräsident Günter Pfullendörfer. Wir begannen fast gemeinsam im Februar/März 1993 und arbeiteten knapp 18 Jahre lang sehr erfolgreich zusammen. Er hat mir ganz persönlich von Beginn an ein außergewöhnliches Vertrauen entgegengebracht und dies vor allem auch in den Anfangszeiten, in denen nicht immer alles rund lief. Ihm war es stets ein elementares Anliegen, dass sich seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohl fühlen und man fair und ehrlich miteinander umgeht. Darin ist er mir persönlich bis heute ein Vorbild.

Meilenstein und Glücksfall zugleich war für den BBS die Präsidentschaft von Dr. Erwin Grom von 2010 bis 2018. In dieser Zeit hat er den BBS in vielerlei Hinsicht geprägt und sich nachhaltige, außergewöhnliche Verdienste erworben. Ihm gelang es u.a., den BBS mit seiner ganz besonderen und spezifischen Aufgabenstellung im organisierten Sport in Baden-Württemberg aus seinem „Nischendasein“ herauszuholen und ihn in Freizeit-, Breiten-, Rehabilitations- und vor allem im Leistungssport gleichberechtigt zu allen anderen Fachverbänden zu positionieren. Jeder Verein, jeder Verband, jedes Gremium, kann es sich nur wünschen, ihn in seinen Reihen zu haben. Ihn als Präsident gehabt zu haben, war ein Glücksfall!

Prägend und im Rückblick für die Entwicklung des BBS richtungsweisend waren die Jahre 2003 bis 2007, die von sportpolitischen Fragestellungen geprägt waren. In dieser Zeit wurde immer wieder die Frage einer gesamt baden-württembergischen Sportstruktur diskutiert. Auch der Behindertensport blieb davon nicht „verschont“ und somit war auch ein Zusammenschluss von BBS und WBRS über viele Jahre ein beherrschendes Thema. Sportpolitische und auch andere zum Teil heftige Auseinandersetzungen zwischen den handelnden Personen von BBS und WBRS prägten in dieser Zeit die Gremiensitzungen. Nachdem im Jahr 2005 schon einmal kurzzeitig Einvernehmen über einen gesamt-baden-württembergischen Behindertensportverband bestand und im Jahr 2006 gar das erste und bis heute einzige, gemeinsame Aus- und Fortbildungsprogramm veröffentlicht wurde, zerbrach das gesamte Gedankenkonstrukt jäh im Sommer 2007. Prägend für mich deshalb, weil es Jahre und Sitzungen von Misstrauen und zum Teil heftigsten Streitigkeiten mit Beleidigungen und Anfeindungen auf beiden Seiten waren. Für den BBS richtungsweisend, weil spätestens ab diesem Zeitpunkt klar war, dass wir ab sofort nur noch für uns, unsere eigenen Ideen und Entwicklungen verantwortlich sind. Seit dieser Zeit wurde ein möglicher Zusammenschluss von relevanten Stellen nie mehr thematisiert.

Ebenfalls richtungsweisend und ein absoluter Meilenstein war sicherlich der Bau und am Ende auch der Kauf unserer neuen Geschäftsstelle. Diese großartigen und repräsentativen Räumlichkeiten eröffneten uns bis dahin ungeahnte Möglichkeiten bei der Projekt- und Mitarbeiterentwicklung. Gleichzeitig war es aber auch ein klares Signal an bestehende und neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass die Zentrale des badischen Behindertensports auf Dauer in Baden-Baden sein wird. Was im Sommer 2003 mit dem Einzug in das neue Gebäude in Baden-Baden Sandweier begann, nahm in den Jahren danach einen im Rückblick fast märchenhaften Verlauf. 2009 machte uns der TV Sandweier ein Kaufangebot, welches wir im Jahr 2010 annahmen. Der BBS wuchs stetig weiter, viele unserer Projekte und Ideen wurden zu großen Erfolgen, es bestand Platzbedarf. Der eigentliche Anstoß, den Ausbau und die Erweiterung um eine weitere Etage in Angriff zu nehmen, kam dann durch eine unerwartete Großspende im Jahr 2015. Ende Dezember 2018 konnten wir nach knapp sechs Monaten Bauzeit unser nun zweistöckiges „Schmuckstück“ beziehen.

Die Wiederentdeckung des Breitensports verbinde ich im Rückblick mit dem Namen Erich Launer, unserem ehemaligen Vizepräsidenten, und dem Jahr 2007. Im Rahmen einer Präsidiumssitzung thematisierte er eher beiläufig die seiner Ansicht nach Vernachlässigung des Breitensports seitens des Verbandes in den vergangenen Jahren. Hieraus entwickelte sich eine breite, landesweite Diskussion, an deren Ende eine neue Breitensportkonzeption stand, aus der heraus sich dann u.a. Projekte wie Behindertensport macht Schule, das neue Landessportfest und unsere Co-Trainer-Ausbildung entwickelten.

Am 18. Mai 2010 waren wir an der Grundschule in Sinzheim-Kartung erstmals mit Behindertensport macht Schule unterwegs. Im Jubiläumsjahr 2025 feiert die Initiative ihr 15jähriges Bestehen. Aus der Idee, Schülerinnen und Schülern in einem ungezwungenen Rahmen die einmalige Gelegenheit zu bieten, Menschen mit Behinderungen und deren Sportarten kennenzulernen und die Sportarten aktiv auszuüben, wurde das Erfolgsprojekt des BBS. Nach über 300 besuchten Schulen mit 25.000 Schülerinnen und Schülern, ist die Initiative fester Bestandteil im Angebot vieler Schulen in Baden geworden. Seit 2012 erfolgt die Finanzierung ununterbrochen durch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg.

Der BBS ist, spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009, einer der Schrittmacher für das Thema Sport und Inklusion im badischen Sport. Mit der Einstellung unserer Sport-Inklusionsmanagerin Kim Früh im Jahr 2017 waren wir dann auch in der Lage vieles von dem, was lange Zeit nur Ideen und Vorhaben waren, in der gesamten Breite in die Tat umsetzen. Innerhalb des badischen und auch des baden-württembergischen Sports wurden wir schon immer als „Experten“ für das Thema „Menschen mit Behinderung im Sport“ wahrgenommen. Mit Kim bekam das Thema „Inklusion“ ein Gesicht. Und mit der Einrichtung der gemeinsamen Servicestelle Inklusion der beiden badischen Sportbünde 2018 wurde es zumindest gedanklich auch dort platziert, wo es innerhalb des Sports meiner Ansicht nach hingehört: Nämlich in die sportartübergreifende Struktur der Landessportbünde.

Reich an Erinnerungen ist auch der Rückblick auf unsere Sportgalas der Jahre 2006 bis 2016. Die Austragung im exklusiven Ambiente des Hotels Colosseo im Europa Park Rust, die unzähligen Topstars des Sports, die wir als Gäste begrüßen durften und nicht zuletzt die legendäre Moderation des leider im Jahr 2022 viel zu früh verstorbenen Michael Dittrich, sind Teil der Verbandsgeschichte und werden ewig in Erinnerung bleiben. Alles hat seine Zeit: 2018 musste die Gala wegen zu geringer Nachfrage erstmals abgesagt werden, dann kam Corona … Eine Wiederaufnahme ist nicht mehr gelungen.

Du hast erwähnt, dass in den Anfängen der 2000er Jahre die Sportpolitik eine große Rolle spielte. Wie blickst Du denn auf diese Diskussionen aus heutiger Sicht zurück?

Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen, aber auch die enorme Leidenschaft, mit der diskutiert und um Positionen gerungen wurde, wirkt im Rückblick, zumindest in Teilen, fast unwirklich und ist für mich heute nur noch schwer vorstellbar. Die wachsende Bedeutung des Rehabilitationssports und die Veränderungen der Führungskultur auch in den Behindertensportvereinen spielen hierbei sicherlich eine wichtige Rolle. Noch in den 80er und auch noch Anfang der 90er Jahre waren sehr viele der ehrenamtlichen Führungspersonen in den Vereinen selbst von einer Behinderung betroffen, sehr häufig auch durch Verletzungen, die noch aus dem 2. Weltkrieg resultierten. Sport- und sozialpolitische Fragen und Diskussionen waren in dieser Zeit allgegenwärtig. Dies zeigte sich u.a. auch in den Mitgliederversammlungen auf Verbandsebene. Sowohl die großen Teilnehmerzahlen als auch die leidenschaftlichen, zum Teil auch hitzigen Diskussionen erinnerten häufig eher an Bundestagsdebatten. Sie waren aber auch Ausdruck der starken, lebenserfahrenen und äußerst empathischen Persönlichkeiten, die den Behindertensportvereinen vorstanden und mit Vehemenz und großem Sachverstand um die besten Entscheidungen für die Entwicklung ihrer Vereine stritten.

Welche Chancen siehst Du für die kommenden Jahre? Was wünschst Du Dir für den BBS?

Unsere originäre Klientel sind Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen. Diese Zielgruppe weiterhin im Fokus zu behalten und noch mehr für den Sport und vor allem für den Sport im Verein zu begeistern, gleichzeitig unsere Mitgliedsvereine in einer noch größeren Breite für den „Sportverein für alle“ zu sensibilisieren und auf dem Weg dahin zu unterstützen, ist Chance und Herausforderung zu gleich.

Aufgrund seiner besonderen Aufgabenstellung, nämlich auf der einen Seite der Fachverband für den Sport von Menschen von Behinderung zu sein, andererseits aber auch durch die Zuständigkeit für eine ganz spezielle Gruppe von Menschen, ist unser Tätigkeitsfeld ebenso breit wie vielfältig und spannend. Wir haben ein großartiges Team an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit großer Empathie für unsere gemeinsame Sache und den BBS, ein überragendes Miteinander, geprägt von einer großen gegenseitigen Wertschätzung. Zusammen mit dem erstklassig besetzen Präsidium herrscht eine außergewöhnliche Mischung aus Erfahrung, Ideenreichtum und ausgeprägtem Fachwissen. Es gibt für mich keinen einzigen Grund, im Hinblick auf die weitere Entwicklung des BBS nicht positiv in die Zukunft zu schauen. Ich sehe hier keinerlei Wolken am Himmel.

Der BBS gehört in nahezu allen Bereichen zu den Top-Behindertensportverbänden in Deutschland und sicherlich auch zu den herausragenden Sport-Fachverbänden in Baden-Württemberg. Wir haben eine eigene Geschäftsstelle, sind finanziell gut aufgestellt und haben über Jahrzehnte ein Aus- und Fortbildungswesen entwickelt, um das wir bundesweit beneidet werden. Wir haben in den vergangenen Jahren herausragende Projekte mit großer Strahlkraft entwickelt. Stellvertretend nenne ich hier Behindertensport macht Schule, die Co-Trainer-Ausbildung für Menschen mit einer geistigen Behinderung und unser aktuelles Projekt Inklusives BADEN. Bei alldem haben wir uns stets die größtmögliche Unabhängigkeit im Denken und Handeln bewahrt. Ich wünsche mir natürlich, dass uns dies auch weiterhin gelingt, wir auch zukünftig konsequent handeln und dabei stets klar in den Entscheidungen bleiben.

Entwickeln durch Tun, stets ein klares Ziel vor Augen haben, die Sache möglichst immer vom Ende her denken und vor allem, immer die Betroffenen und die Vereine im Fokus haben: Dies sollten auch künftig unsere Leitplanken sein. Der BBS ist mehr als Sport!

Interview mit Günter Pfullendörfer - Präsident des BBS 1993 - 2010

„Eigentlich hätte ich einen Hubschrauber gebraucht, um alles unter einen Hut zu bekommen“

Unter der Präsidentschaft von Günter Pfullendörfer (1993–2010) wurde die Entwicklung des BBS von einem rein ehrenamtlich geführten Verband hin zu einer hauptamtlich geführten Geschäftsstelle erfolgreich umgesetzt. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit ihm über seine Erfahrungen im Ehrenamt und die besonderen Momente seiner Amtszeit.

Was hat Sie damals dazu bewegt, sich ehrenamtlich im Sportverband zu engagieren?

Ich habe schon immer gerne Sport getrieben und war unter anderem in der Leichtathletik und im Fußball aktiv. Nach einem Arbeitsunfall, in dessen Folge ich eine Unterschenkelprothese trage, wurde ich durch einen Kollegen auf den Behindertensport aufmerksam. So kam ich zur damaligen Versehrtensportgruppe Offenburg.

Dort übernahm ich direkt das Amt des Schriftführers, da mein Vorgänger leider verstorben war. Anfangs kümmerte ich mich hauptsächlich um den Schriftverkehr des Vereins, doch mit der Zeit engagierte ich mich immer stärker in der Vereinsarbeit. Zudem war ich unter anderem als Übungsleiter tätig und weiterhin selbst aktiver Sportler – besonders gerne spielte ich Sitzball. Eines Tages wurde mir nahegelegt, den Vorsitz des Vereins zu übernehmen, da man mich für die richtige Person hielt. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits Fachwart für Behindertensport im Bezirk Oberrhein und hatte mir ein fundiertes Wissen angeeignet. So nahm ich 1982 den Posten des 1. Vorsitzenden bei der BSG Offenburg an und blieb für 30 Jahre in diesem Amt. Im Laufe der Zeit organisierten wir viele bedeutende Veranstaltungen bei der BSG und das Angebot erweiterte sich stetig – von Blindensport über Sport für Querschnittsgelähmte bis hin zu Sport für Dialysepatienten.

Schließlich sprach mich der damalige BBS-Präsident Fritz Niesen an und fragte, ob ich mich in der BBS-Mitgliederversammlung für das Präsidentenamt bewerben wolle. Da ich bereits viele Verpflichtungen hatte – unter anderem war ich auch im Personalrat der Eisenbahn und in der Gewerkschaft aktiv – stellte ich eine Bedingung: Ohne einen Geschäftsführer würde ich das Amt nicht übernehmen. Daraufhin wurde Michael Eisele als Geschäftsführer eingestellt und ich kandidierte 1993 auf der Mitgliederversammlung in Offenburg für das Amt des BBS-Präsidenten. Trotz starker Konkurrenz konnte ich mich durchsetzen und wurde gewählt.

Anschließend wurde die Geschäftsstelle in Hügelsheim aufgebaut. Der Verband wuchs kontinuierlich und entwickelte sich in allen Bereichen weiter. Das Fundament des Behindertensports war der Rehabilitationssport, daher wurde das Lizenz- und Ausbildungssystem dem des DBS angepasst und es fanden zunehmend Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in Bereichen wie Wirbelsäulenschäden, Osteoporose, Diabetes, Atemwegserkrankungen, Sport nach Schlaganfall, Herzsport und Sport für Menschen mit geistiger Behinderung statt. Später erfolgte der Umzug in die barrierefreien Geschäftsräume in Sandweier. Aufgrund des wachsenden Arbeitsumfangs war es notwendig, weiteres Personal einzustellen. Zunächst wurde Holger Kimmig eingestellt, gefolgt von Christine Engel. So wuchs der Verband über die Jahre hinweg immer weiter.

Was bedeutet es, ein Präsidentenamt ehrenamtlich auszuführen?

Die Aufgabe bringt einen enormen zeitlichen Aufwand mit sich. Damals fanden noch alle vier Wochen Vorstandssitzungen statt, dazu kamen alle sechs Monate mehrtägige Sitzungen beim Deutschen Behindertensportverband. Neben den vielen Terminen bedeutete das auch zahlreiche Fahrten quer durch Deutschland. Hätte ich nicht als Eisenbahner gearbeitet und dadurch Freifahrten für Süddeutschland gehabt, wären die Reisekosten für den Verband erheblich gewesen. So konnte ich vieles mit dem Zug erledigen und der Verband Geld sparen. Ich erhielt lediglich eine kleine Aufwandsentschädigung.

Zusätzlich zu den regelmäßigen Vorstandssitzungen beim BBS gab es Sitzungen der BSG Offenburg sowie zahlreiche Treffen in Bretten zum Aufbau des Landesverbands Baden-Württemberg - der am Ende jedoch scheiterte. All das erforderte nicht nur viel Zeit für Reisen, sondern auch eine gründliche Vorbereitung auf jede Sitzung. Gleichzeitig war ich noch berufstätig. Eigentlich hätte ich einen Hubschrauber gebraucht, um alles unter einen Hut zu bekommen.

Natürlich blieb davon auch das Familienleben nicht unberührt. Meine Tochter sagt heute noch, dass sie das Gefühl hatte, kaum Zeit mit mir gehabt zu haben, weil der Behindertensport für mich stets an erster Stelle stand. Oft wurde mir auch geraten, mein Engagement im Verein aufzugeben und mich ganz auf den Verband zu konzentrieren. Doch das kam für mich nicht infrage.

Welche Momente aus Ihrer Amtszeit sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Besonders schön waren für mich immer die Sportlerehrungen. Anfänglich fanden diese im Hotel Dorint in Offenburg statt, doch später brachte ich den Vorschlag ein, die Veranstaltung in den Europa-Park zu verlegen – das stellte sich als echter Glücksfall heraus.

Die Veranstaltungen im Europa-Park sind mir besonders in Erinnerung geblieben, weil sie hervorragend organisiert waren und reibungslos abliefen. Ich glaube, es hat Allen große Freude bereitet, dorthin zu gehen – viele nutzten die Gelegenheit auch für eine Übernachtung und am nächsten Morgen traf man sich noch beim Frühstück. Eine dieser Veranstaltungen bleibt mir besonders im Gedächtnis, da mir dort das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde.

Die vielen positiven Erlebnisse werden mir stets in Erinnerung bleiben und zeigen, wie wichtig es ist, solche Momente im Ehrenamt zu schaffen.

Interview mit Dr. Erwin Grom - Präsident des BBS 2010 - 2018

„Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens“

Dr. Erwin Grom gelang es während seiner Präsidentschaft u.a., den BBS mit seiner ganz besonderen und spezifischen Aufgabenstellung im organisierten Sport in Baden-Württemberg aus seinem „Nischendasein“ herauszuholen und ihn in Freizeit-, Breiten-, Rehabilitations- und vor allem im Leistungssport gleichberechtigt zu allen anderen Fachverbänden zu positionieren. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit Dr. Erwin Grom über seine Amtszeit sowie über den Wandel in der gesellschaftlichen und medialen Wahrnehmung des Behindertensports.

Während Ihrer Amtszeit, insbesondere nach den Paralympischen Spielen in London 2012, hat sich die Präsenz des Behindertensports in den Medien und in der Gesellschaft deutlich verändert. Wie haben Sie diesen Wandel in der Wahrnehmung des Behindertensports erlebt, sowohl allgemein als auch speziell im Sport in Baden-Württemberg?

Die Wahrnehmung generell ist ein wechselseitiges Geschehen: zum einen einer, der gesehen werden will und zum anderen einer, der sehen will. In den Anfangsjahren des Behindertensports waren es vor allem durch Krieg und Unfälle Behinderte, die mehr oder weniger beim Sport unter sich blieben. Sie lebten in einer Gesellschaft, die sich nicht besonders um diese Menschen kümmerte – Behinderung wurde mehr als Makel gesehen. In Ländern wie England war dies anders. Dort wurde früh erkannt, dass Sport-in welcher Form auch immer- ganz wesentlich ein Heilmittel für Leib und Seele ist. Es gibt keinen Menschen, der nichts kann. Entscheidend ist aber auch die Wahrnehmung dieser Leistung, ja Lebensleistung, dieser Menschen. Sie sind Lehrmeister im positiven Denken und in der Lebenstüchtigkeit. Sie zeichnet Fröhlichkeit und Herzlichkeit aus, das gilt ganz besonders für Menschen mit einer geistigen Behinderung. In den 80er Jahren kam es zunehmend in Europa zu einem Wahrnehmungswandel. Die „Nichtbehinderten“ (ich selbst fand diesen Begriff immer anmaßend, denn wie will man wissen, ob man selbst nicht schon längst etwas in sich trägt, das einen plötzlich zu einem „Behinderten“ macht) begannen darüber zu staunen, was Menschen mit Einschränkungen sowohl sportlich wie auch im „normalen“ Leben leisteten – die paralympischen Spiele wurden plötzlich wahrgenommen. Unser Holger Kimmig wäre heute ein „Superstar“ – er ist es ja, für uns sowieso. Die Paralympics 2012 mit einer bis dahin beispiellosen Medienpräsenz gaben dem paralympischen und allgemeinen Behindertensport einen großen Schub.

Ich selbst habe ja 1983 die erste Herzsportgruppe in Breisach gegründet – nicht in einem eigenen Verein, sondern als eine Abteilung im Turnverein Breisach am Rhein – also mitten in der Gesellschaft sichtbar. Herzpatienten sieht man ihre „Behinderung“ seltenst an – viele haben aber durch ihren Herzinfarkt Ängste nichts mehr leisten zu können und bald sterben zu müssen. So war für mich nicht die sportliche Leistung in den damals noch Koronarsportgruppen genannten Gruppen wichtig. Sport war Mittel zur Entängstigung. Es wuchs das Selbstvertrauen und die Lebensfreude. Die Betroffenen waren sich gegenseitig „Medikament zum Weiterleben“. Es war für mich als einem der „von der Basis“ kam und jeden Montag in der Sportgruppe war bedeutsam, zu erleben, dass mit Günter Pfullendorfer ein Präsident und ganz besonders mit Michael Eisele ein Geschäftsführer den BBS führten, die eben nicht nur verwalteten und verhinderten, sondern gestalteten. Mit diesem Selbstverständnis, dass man in diesen Funktionen zu dienen und nicht zu herrschen hat, nahm der BBS einen beispielhaften Aufschwung. Dies hat es mir leichter gemacht trotz meiner großen zeit-und kraftraubenden Tätigkeit als Chefarzt einer Klinik, Michael Eisele auf seine Anfrage zunächst als Vizepräsident und dann ab 2010 als Präsident zuzusagen.

Was könnte Ihrer Meinung nach unternommen werden, um die Wahrnehmung des Behindertensports sowohl in der Gesellschaft als auch in den Medien weiter zu verbessern?

Sich zeigen – TUN – das Projekt „Behindertensport macht Schule“, das der BBS mit großer Resonanz seit Jahren anbietet, führt junge Menschen aller Altersstufen erlebbar an den Behindertensport heran. Viele Lehrerinnen und Lehrer haben so etwas erstmals erlebt.

Wir haben es einmal geschafft ein Bundesligaspiel des Blindenfußballs nach Freiburg zu bekommen. Auf der Südseite des Münsters verfolgten über den Nachmittag mehr als 4000 Menschen, die „zufällig“ Freiburg besuchten, diese Spiele. Sie waren fasziniert von dem, was sie sahen und erlebten – und dies führte zu einer immer mehr wachsenden Wahrnehmung. Inklusion muss selbstverständlich werden- nicht in Sonntagsreden -im Tun, ohne Ideologie.

Eine weitere unverändert wichtige Aufgabe des BBS ist wie bisher die optimale Aus-und Fortbildung der Übungsleiterinnen und Übungsleiter. Die Sportschule in Steinbach habe ich in all den Jahrzehnten als kompetent und sehr aufgeschlossen erlebt. Sie ist nach meiner Erfahrung Bundes-Spitze.

Besonders wichtig für den BBS bleibt die Einbindung in die Sportorganisationen, zuallererst in den Badischen Sportbund (Freiburg und Karlsruhe). Gerade in Freiburg haben der BBS und der Behindertensport in Präsident Gundolf Fleischer einen Präsidenten, der sich aus Überzeugung und vollem Herzen für die Belange des Behindertensports weit über Baden-Württemberg hinaus einsetzt.

Welche besonderen Herausforderungen stellten sich während Ihrer Amtszeit und wie haben Sie diese gemeistert?

Die Herausforderungen sind vorher schon beschrieben – sie werden weiter bestehen bleiben. Entscheidend war immer, dass alle nicht nur am gleichen Strang, sondern vor allem in die gleiche Richtung gezogen haben. Wir haben von anderen nicht mehr verlangt als wir selbst geleistet haben. Unsere Gesprächspartner im Sport und auf allen Ebenen der Politik haben dies geschätzt und uns unterstützt. So waren wir maßgeblich daran beteiligt den paralympischen Sport soweit als möglich mit zu fördern. Die Etablierung eines paralympische Stützpunkt Ski nordisch am Olympiastützpunkt Freiburg ist wegweisend. Das im Olympiastützpunkt in einer großen finanziellen Anstrengung eingerichtete Spezial-Laufband ist ein Leuchtturmprojekt geworden. Unsere Athletinnen und Athleten trainieren jetzt auch im Sommer unter optimalen Bedingungen.

Wenn Sie auf Ihre Jahre beim BBS zurückblicken: Was war aus Ihrer Sicht der größte Erfolg des Verbands während Ihrer Amtszeit und an welche Höhepunkte denken Sie besonders gerne zurück?

Erfolge sind immer relativ – unbestritten ist jedoch, dass der BBS seinem Weg und seinem Anspruch jeden Tag noch besser zu werden treu geblieben ist – das verstehe ich unter Elite.

Ich habe 2018 aus gesundheitlichen Gründen meine ganzen Ehrenämter (Abteilungsleiter im TV Breisach am Rhein, Referent an der Sportschule in Steinbach, Präsident des BBS und Vizepräsident des BSB Freiburg) schweren Herzens zurückgegeben. Zu wissen, dass der Verband optimal weitergeführt werden wird, hat es mir leichter gemacht.

So bin ich für diese Zeit dankbar, denn Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens.

Interview mit Prof. Dr. Anja Hirschmüller - Präsidentin des BBS seit 2018

„Ich habe noch keinen Menschen erlebt, der Behindertensport live gesehen hat, der nicht völlig begeistert gewesen ist.“

Seit 2004 betreut Prof. Dr. Anja Hirschmüller das deutsche Para Radsportteam und begleitet das Team Deutschland Paralympics bereits seit 2008 zu Paralympischen Spielen. Seit 2006 ist sie die Leitende Ärztin Leistungssport des Deutschen Behindertensportverbandes, seit 2018 Präsidentin des BBS. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit ihr über 75 Jahre Behindertensport in Baden, persönliche Meilensteine und das anstehende Jubiläumsfest an der Sportschule Baden-Baden Steinbach.

Was fällt Dir spontan als Erstes ein, wenn Du an den BBS denkst?

Als Allererstes: 75 Jahre Sport von und für Menschen mit einer Behinderung in Baden. Natürlich fallen mir dabei dann direkt zahlreiche konkrete Projekte und Veranstaltungen ein, wie „Behindertensport macht Schule“, die Zukunftskampagne für Menschen mit einer geistigen Behinderung  „Sport vereint“, die hochprofessionelle Lehre, die – seit ich die Geschichte des Verbandes mitverfolge – in einer beeindruckenden Konstanz und Qualität an „unserer“ Sportschule in Steinbach zur Ausbildung von Übungsleitern durchgeführt wird, und natürlich auch zahlreiche Präsidiumssitzungen und die intensive Zusammenarbeit mit Michael Eisele und früher Dr. Erwin Grom. Ich denke außerdem an einige Paralympicsteilnehmer*innen und -sieger*innen aus unserem Verband und an die tolle Entwicklung, die dieser Verband in seiner 75-jährigen Geschichte genommen hat.

Wie blickst Du auf den bisherigen Verlauf des BBS-Jubiläumsjahres 2025 zurück?

Das Jahr 2025 war und ist ein sehr besonderes Jahr für den BBS. Es ist natürlich geprägt von unserem Jubiläum und den Feierlichkeiten, aber auch die tägliche Projektarbeit läuft weiter. Das Jahr hat schon damit wirklich toll begonnen, dass unser neues Schwimmprojekt „Inklusives Baden“, welches wir in einer engen Kooperation mit dem Badischen Schwimmverband und mit der Unterstützung der Aktion Mensch durchführen, wunderbar angelaufen ist. Dieses Projekt wird dazu führen, dass viele Kinder mit und ohne Behinderungen schwimmen lernen dürfen, was ich für ganz wichtig halte.

Darüber hinaus erhielten wir kürzlich die freudige Nachricht, dass der BBS für seine Co-Trainer-Ausbildung für Menschen mit geistiger Behinderung eine weitere Auszeichnung erhalten wird. Nach dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Sport und dem Sonderpreis der Ferry-Porsche-Stiftung wird dem BBS im November die Kurt-Alphons-Jochheim-Medaille der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation verliehen werden.

Die Vorbereitungen unserer Jubiläumsfeiern standen natürlich im Zentrum dieses Jahres. Am Gründungstag des Verbandes hatten wir eine sehr stimmungs- und würdevolle Feier mit besonderen Ehrengästen in unserer schönen Geschäftsstelle abgehalten. Dies wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Nun freuen wir uns alle auf das kommende Wochenende, wenn wir unser Jubiläum mit der Öffentlichkeit im Rahmen eines 2-tägigen Sportfests an der Sportschule Steinbach feiern werden.

Wie bist Du zum Behindertensport gekommen – und was hat Dich auf diesem Weg besonders bewegt?

Ich bin zuerst über meinen eigentlichen Beruf als Orthopädin und Sportmedizinerin mit dem Behindertensport in Kontakt gekommen. Ich habe an der Uniklinik Freiburg immer wieder Athletinnen mit Behinderungen untersucht und behandelt und 2004 die Betreuung der deutschen Pararadsport-Nationalmannschaft übernommen. Dieses Team betreue ich seither. 2006 wurde ich leitende Ärztin des Deutschen Behindertensportverbandes.

Zum BBS kam ich 2005 über den damaligen Präsidenten Dr. Erwin Grom, mit dem wir von der Uniklinik – in seiner Funktion als Chefarzt der Klinik Dr. Lay im Kaiserstuhl – sehr eng zusammenarbeiteten. Als die Übungsleiterausbildung Rehabilitationssport neu konzipiert wurde, habe ich mit einigen Kolleginnen der Uniklinik den orthopädischen Teil der Ausbildung neugestaltet und dann viele Jahre durchgeführt. 2014 übernahm ich dann das Amt der Landessportärztin Rehabilitationssport im Präsidium.

Welche Bedeutung haben sportliche Vorbilder im Behindertensport für junge Menschen mit Behinderung?

Ich denke, eine sehr große Bedeutung – eigentlich ähnlich wie im olympischen Sport. Zu sehen, zu welchen Leistungen Menschen mit und ohne Behinderungen fähig sind, motiviert. Wir bekommen nach jedem Paralympischen Spielen einen Boom an Anfragen zu Sportangeboten für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung. Bei Schnuppertagen oder Sportfesten, an denen paralympische Spitzenathleten zugegen sind und ihre Geschichten mit den Kindern und Jugendlichen teilen, begeistern mich immer die strahlenden Kinderaugen, wenn diese zuhören, zusehen oder mit ihren Vorbildern Sport treiben dürfen. Nicht zuletzt waren die Jugendlichen, die letztes Jahr im Rahmen unseres ersten badischen paralympischen Jugendlagers mit nach Paris reisen durften, begeistert und angespornt durch die Athlet*innen, die sie dort erleben durften.

Was würdest Du jemandem sagen, der Behindertensport bislang noch nie live erlebt hat?

…dass das schnellstmöglich nachgeholt werden sollte! Ich habe noch keinen Menschen erlebt, der Behindertensport live gesehen hat, der nicht völlig begeistert gewesen ist. Mich selbst eingeschlossen, kann man sich nicht vorstellen, wie großartig viele Behindertensportarten live anzusehen sind, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Ich durfte bei den Paralympischen Spielen in London 2012 das erste Mal unserer Frauennationalmannschaft Rollstuhlbasketball zusehen und wollte gar nicht mehr aus der Halle, so begeistert war ich. Vielen meiner Bekannten und Freunde, die letztes Jahr die Spiele in Paris verfolgt haben, ging es genauso.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher bei der BBS-Jubiläumsveranstaltung an der Sportschule Baden-Baden Steinbach – und warum sollte man unbedingt vorbeikommen?

Es wird ein inklusives Sportfest mit einem wunderbaren Potpourri aus vielen Dingen, die den BBS und den Sport von Menschen mit einer Behinderung ausmachen. Es wird Demospiele geben – u. a. in Sitzvolleyball, Tischtennis und Fußball – und darüber hinaus zahlreiche Mitmachangebote, bei denen Erwachsene, Kinder, Jugendliche und Familien selbst Sport machen können, neue Sportarten ausprobieren und Behindertensport live erleben dürfen. Es wird einen Kletterturm geben und die Möglichkeit, das Sportabzeichen zu absolvieren, sowie einen Jubiläumslauf, Bogenschießen und eine Kinderrallye.

Parallel werden Übungsleiterlehrgänge abgehalten und ein internationales Turnier im Rollstuhlhandball, bei dem man zusehen kann. Es wird sich mit Sicherheit für alle lohnen, vorbeizukommen.

Interview mit Bernhard Rußi - Leistungssportler Para Leichtathletik 1975 - 1994

„Mit Fleiß und Ehrgeiz ist alles möglich“

Bernhard Rußi war von 1975 bis 1994 als Leichtathlet aktiv und gehörte in dieser Zeit zur deutschen Spitze im Behindertensport. Seinen sportlichen Höhepunkt erlebte er bei den Paralympischen Spielen 1980 in Arnheim (Niederlande). Dort gewann er gemeinsam mit seinen Staffelkollegen in der 4×100-Meter-Staffel der Klasse F/IV die Goldmedaille. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen im Leistungssport.

Wie sah zu Beginn deiner sportlichen Laufbahn ein typischer Trainingstag bei dir aus?

Täglich habe ich mindestens 25 Minuten Frühgymnastik gemacht, gefolgt von der Fahrt mit dem Fahrrad zur etwa 5 km entfernten Arbeitsstelle. Nach Feierabend erfolgte der Heimweg entweder mit dem Fahrrad oder alternativ durch Jogging. Anschließend schloss sich ein Training auf der Sportanlage oder in der Halle an, das etwa 1,5 Stunden dauerte. Eine ausgewogene Ernährung sowie die konsequente Einhaltung von Ruhepausen waren ebenfalls wesentliche Bestandteile meines Trainingskonzepts.

Hattet ihr damals schon spezielle Trainer oder sogar Landestrainer? Wie lief die Qualifikation für die Paralympics ab?

Hierzu muss ich etwas ausholen und zurückgehen in das Jahr 1975. In diesem Jahr fanden die 1. Deutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften der Versehrten in Dortmund statt. Der Deutsche Versehrtensportverband (DVS) hatte alle Landesverbände dazu eingeladen und so machten wir uns im Landesverband Baden auf die Suche nach interessierten Sportlern. Es war alles recht kurzfristig organisiert. Letztlich reiste die VSG Baden-Baden mit einer Gruppe von Faustballern und Leichtathleten nach Dortmund.

Die guten Ergebnisse, die dort erzielt wurden, waren damals die Grundlage für die ersten Sichtungen und Kaderbildungen des DVS für die Olympiade 1976 in Kanada. Den Begriff „Paralympics“ kannte man damals noch nicht – intern sprach man von der „Toronto-Olympiade“.

Einen Landeskader gab es damals beim Badischen Versehrten-Sportverband aus Kostengründen noch nicht. Jeder Sportler trainierte nach seinen eigenen Möglichkeiten. Das führte leider auch dazu, dass viele durch unsachgemäßes Training Verletzungen erlitten. Bei mir war es eine langwierige Entzündung im rechten Ellbogen, die meine Teilnahme an den Spielen in Kanada leider unmöglich machte.

In der Folge wurde im Deutschen Behindertensportverband (DBS) und auch beim Badischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband (BBS) die Struktur deutlich verbessert, es wurden Bundes- und Landeskader aufgebaut. Ich wurde in den Landeskader unter der Leitung von Bernhard Kurz aufgenommen und regelmäßig zu Leistungslehrgängen eingeladen. Außerdem nahm ich erfolgreich an den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften teil.

Dann kam das Olympiajahr 1980. Die Spiele in Moskau wurden von vielen westlichen Sportlern aus politischen Gründen boykottiert. Die Niederlande erklärten sich bereit, die Spiele für die Behindertensportler auszurichten. Für den DBS eröffnete sich dadurch eine besondere Chance: Als unmittelbarer Nachbarstaat durfte Deutschland mit einer größeren Mannschaft teilnehmen – auch die Zweitplatzierten der vergangenen Bundesmeisterschaften erhielten Startberechtigungen.

Für mich war das ein großer Moment: Ich wurde offiziell für die Olympischen Spiele der Amputierten 1980 in Arnheim nominiert. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich alles: Tägliches Training nach den Vorgaben des Bundestrainers, strukturierte Trainingspläne und regelmäßige Lehrgänge in Duisburg/Wedau.

Wurde die Anreise zu den Paralympics zentral organisiert oder musstet ihr euch selbst darum kümmern? Gab es eine zentrale Unterbringung für alle Sportler wie ein Paralympisches Dorf?

Die Anreise wurde über den BBS und DBS im Vorfeld zentral organisiert. Am 20.06.1980 ging es mit dem Zug nach Emmerich. Von dort aus brachte uns die Bundeswehr über die legendäre Rheinbrücke nach Arnheim. Dort war in einer riesigen Kaserne das Paralympische Dorf für alle 42 teilnehmenden Nationen eingerichtet worden.

Die rund 160 deutschen Sportler waren gemeinsam in einem eigenen Trakt untergebracht. Die Verpflegung erfolgte in Wechselschichten und lief in der Regel reibungslos ab – eine logistische Meisterleistung, angesichts der großen Anzahl an Menschen, die täglich pünktlich versorgt werden mussten.

Waren die Wettkampfstätten barrierefrei und gut zugänglich für alle Athleten? Wurde vor Ort medizinische Betreuung angeboten?

Ja, im Olympischen Dorf und auch in der Stadt waren überall Rampen und barrierefreie Übergänge für alle Behinderten vorbildlich eingerichtet worden.

Jeder Verband stellte für seine Teilnehmer sowohl Physiotherapeuten als auch Ärzte zur Verfügung. Zudem musste sich jeder Athlet vor dem Wettkampf einer medizinischen Untersuchung unterziehen, bevor er seine Startnummer erhielt.

Drei Wochen vor dem großen Ereignis zog ich mir beim Abschlusstraining in Duisburg eine Verletzung am Fußgelenk zu. Glücklicherweise handelte es sich „nur“ um eine schmerzhafte Bänderdehnung, die jedoch rechtzeitig ausheilte. Auf Anraten meines Physiotherapeuten trug ich eine stützende Bandage. Leider erwies sich der Rat, diese unmittelbar vor dem Hochsprung-Wettbewerb abzulegen, als fataler Fehler: Mein Fuß war instabil, was sofort zu einem Fehlversuch führte. Danach hatten wir 3 Minuten Zeit einen neuen Tape-Verband anzulegen. Unser Physiotherapeut vor Ort reagierte schnell – seine Unterstützung war in diesem Moment eine große Hilfe. Die gewohnte Sicherheit war aber dahin und leichte Beschwerden machten sich auch bemerkbar. Am Schluss blieb noch der vierte Platz für mich, was unter diesen Umständen eine hervorragende Leistung war.

Gab es eine offizielle Eröffnungs- und Abschlussfeier?

Es gab sowohl eine Eröffnungs- als auch eine Abschlussfeier im Sportzentrum in Papental. Die Eröffnungsfeier fand mit ca. 12.000 Zuschauern statt. Es war ein Gänsehaut-Erlebnis, als die 42 Nationen unter großen Beifall eingezogen sind. Die Abschlussfeier war für alle Beteiligten ebenfalls ein großartiges Erlebnis. Für mich persönlich, als 39-jähriger Teilnehmer, war es trotz aller gesundheitlichen Rückschläge ein unvergessliches Sporterlebnis.

Wie hast du die Wettkämpfe und die Atmosphäre vor Ort erlebt?

Es war schon etwas ganz Besonderes, so viele Athletinnen und Athleten auf einem Fleck zu sehen. Natürlich war da auch der innere Druck: "Du darfst nicht versagen, du musst dein Bestes geben!"

Am letzten Wettkampftag standen die Staffelwettbewerbe an. Gemeinsam mit den bayerischen Sportlern Josef Kern und Hermann Uhr sowie den beiden Athleten aus Baden-Württemberg, Mathias Berg und mir, gewannen wir die 4x100m Staffel in der Klasse F/IV – und das in Weltrekordzeit. Unser Ziel war erreicht. Die große Siegerehrung war der verdiente Lohn für all die Jahre harter Arbeit und die kräftezehrenden Vorbereitungen.

Doch wir nutzten auch die Gelegenheit, die zahlreichen Veranstaltungen rund um die Spiele mitzuerleben. Auf dem Rathausplatz in Arnheim beeindruckte eine atemberaubende Artistenshow das Publikum. Es gab Ballonfahrten, Fallschirmspringen, eine spektakuläre Flugshow – und am Sonntag einen ökumenischen Gottesdienst in der Walburgiskirche.

Besonders in Erinnerung geblieben sind uns auch die herzlichen Begegnungen mit niederländischen Familien, die uns ganz ungezwungen zu verschiedenen Anlässen einluden. So wurden wir beispielsweise bei einer Familie zum Kaffee und köstlichem Kuchen empfangen, eine andere lud uns in ihren Garten zum Kirschenessen ein – Einladungen, die wir dankbar annahmen, denn die Atmosphäre war einfach warmherzig.

Auch offizielle Einladungen gab es: Wir wurden unter anderem vom deutschen Botschafter sowie von Vertretern der Bundesregierung empfangen. Bei einem Empfang waren wir zu Gast bei Bundestagspräsidentin Annemarie Renger, auch Wolfgang Schäuble - damals Staatssekretär - war anwesend. Alle zeigten großes Interesse daran, wie es uns vor Ort ging – ob wir gut betreut und natürlich, ob wir sportlich erfolgreich waren.

Darüber hinaus gab es unzählige Begegnungen mit Sportlerinnen, Sportlern und Betreuerinnen und Betreuern aus aller Welt – Begegnungen, die ich nie vergessen werde.

Was würdest du jungen Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung heute mit auf den Weg geben?

Mit Fleiß und Ehrgeiz kann man heute, auch mit einer Behinderung, alles erreichen.  Vom Hobbysport bis hin zum Olympiasieg ist alles möglich. Man muss es wirklich wollen und bereit sein, dranzubleiben. Die Strukturen, Angebote und Unterstützungen in den Behindertensportvereinen und -verbänden bieten heute Möglichkeiten, die nahezu keine Grenzen mehr kennen.

Interview mit Holger Kimmig - Leistungssportler Para Schwimmen 1990 - 2000

„Ich sehe den Wandel eines Sports – von Nischensendungen im Fernsehen zu globalen Live-Events“

Holger Kimmig zählt zu den erfolgreichsten deutschen Para-Schwimmern der 1990er und frühen 2000er Jahre – er gewann mehrfach Medaillen bei Paralympics, Welt  und Europameisterschaften. Besonders erfolgreich war er bei den Paralympischen Spielen 1996 in Atlanta (3× Gold, 3× Silber, 1× Bronze) sowie 2000 in Sydney (1× Gold, 1× Silber, 1× Bronze). Nach dem Ende seiner aktiven Karriere engagiert er sich bis heute mit großer Leidenschaft für den Behindertensport – unter anderem als Leistungssportkoordinator beim Badischen Behinderten  und Rehabilitationssportverband. BBS-Mitarbeiterin Tanja Wolf sprach mit ihm über die Entwicklung des Parasports sowie seine persönlichen Erfahrungen.

Welche Entwicklungen im Parasport hast du selbst miterlebt – was hat sich aus deiner Sicht bis heute besonders verbessert?

Von 1992 bis 2000 durfte ich an drei Paralympischen Spielen im Para-Schwimmen teilnehmen – acht Jahre, die nicht nur sportlich, sondern auch in Sachen Medienpräsenz eine ganze Welt auseinanderliegen.

1992, in Barcelona, gab es nach den Spielen gerade einmal einen einstündigen Zusammenschnitt im Fernsehen. Ein kurzer Rückblick – und schon war alles vorbei. Acht Jahre später, in Sydney, war das anders: Die öffentlich-rechtlichen Sender reisten mit eigenem Fernsehteam an, berichteten täglich und brachten die Emotionen direkt in die Wohnzimmer. Heute hat sich das Bild komplett gewandelt: Fast alle Wettkämpfe können per Livestream live verfolgt werden, ARD und ZDF senden täglich stundenlang. Neben den packenden Wettkämpfen gibt es Interviews, Hintergrundgeschichten zu Athletinnen und Athleten, Erklärungen zu Sportarten und zu den teils komplizierten Klassifizierungssystemen im Behindertensport – alles hochprofessionell und nah dran.

Auch sportlich hat sich in dieser Zeit vieles verändert. 1992 waren wir Schwimmerinnen und Schwimmer noch Allrounder – so auch ich. Wir traten über die 50-Meter-Sprintstrecke ebenso an wie über 400 Meter-Strecken, oft in mehreren Lagen. Wer in einer Disziplin zur Weltspitze gehörte, war meist auch in anderen ganz vorne mit dabei. Die Medaillen einer Startklasse teilten sich oft nur fünf oder sechs Sportler. Im Jahr 2000 war diese Vielseitigkeit kaum noch möglich. Die Konkurrenz war stärker, das Niveau höher. Wer erfolgreich sein wollte, musste sich spezialisieren – auf maximal zwei Lagen oder Streckenlängen.

Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich nicht nur sportliche Wettkämpfe und Trainingseinheiten. Ich sehe den Wandel eines Sports – von Nischensendungen im Fernsehen zu globalen Live-Events, von vielseitigen Allroundern zu hochspezialisierten Top-Athleten. Und ich bin dankbar, dass ich diesen Wandel miterleben durfte – im Wasser, Bahn für Bahn.

Inwiefern beeinflusst deine eigene Erfahrung als Sportler deine Arbeit als Leistungssportkoordinator?

Meine eigenen Erfahrungen als Sportler prägen meine Arbeit als Leistungssportkoordinator bis heute – besonders die Erlebnisse aus meiner aktiven Zeit und die Einblicke in die vielfältigen Karrierewege meiner damaligen Schwimmkolleginnen und -kollegen. Sie helfen mir zu verstehen, wie herausfordernd es sein kann, als Parasportler leistungssportlich zu trainieren. In den meisten Sportarten, besonders im Individualsport, brauchen Parasportler das Umfeld des olympischen Sports: gute Trainingsbedingungen, qualifizierte Trainer und oft auch die Wettkämpfe des olympischen Systems.

Schon in meiner frühen Kindheit spielte Sport eine zentrale Rolle in meinem Leben. Doch mit elf Jahren änderte sich alles: Bei einem Fahrradunfall verlor ich mein rechtes Bein. Nach einem Jahr im Krankenhaus und in der Reha stand für meine Eltern und mich die Frage im Raum: Welche sportlichen Möglichkeiten habe ich jetzt? Fußball war meine große Leidenschaft – doch weiterspielen war damals keine Option. Angebote für Kinder mit Behinderung gab es in unserer Stadt so gut wie keine. Zum Glück fanden wir etwas weiter entfernt einen Behindertensportverein, in dem ich verschiedene Sportarten ausprobieren konnte. Schließlich blieb ich beim Schwimmen hängen.

Nach einigen Jahren merkte ich jedoch, dass die Trainingszeiten im Behindertensport nicht ausreichten, um mich sportlich weiterzuentwickeln. Der nächste Schritt war klar: Ich musste in einen nichtbehinderten Verein wechseln. Doch der Anfang war schwierig – zunächst stieß ich auf Ablehnung. Erst nach viel Überzeugungsarbeit durfte ich in der Trainingsgruppe mitmachen. Diese Berührungsängste, die ich damals erlebte, gibt es leider auch heute noch und sie erschweren Menschen mit Behinderung oft den Zugang zu regulären Trainingsgruppen.

Welche Herausforderungen bestehen bei der Suche und Förderung von Nachwuchstalenten im Parasport?

Die größte Problematik im paralympischen Sport besteht darin, Kinder mit einer Behinderung in Berührung mit Sport bzw. mit dem organisierten Sport zu bringen. Ein Grund dafür liegt, meiner Meinung nach, darin, dass der Großteil der potenziellen Athleten in Regelschulen beschult wird. Durch beispielsweise Schulsportbefreiungen, mangelnde adäquate Sportangebote vor Ort oder fehlende Kenntnisse der Eltern findet der Einstieg in den Sport im Vergleich zu gleichaltrigen Nichtbehinderten nur verzögert oder überhaupt nicht statt. Daraus resultiert, dass nur eine geringe Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung den Weg zum Sport findet und dadurch als potenzielle Sportler verloren gehen.

Welche Sportler werden im BBS-Paralympics-Förderteam unterstützt?

Die Spitzensportförderung hat in den letzten Jahren auch im Bereich des Spitzensports von Menschen mit einer Behinderung einen stetigen Aufschwung erfahren. Auch deshalb haben wir nach über zehn Jahren BBS-Paralympics Förderteam (PFT), in denen der Förderschwerpunkt auf unseren paralympischen Spitzenathleten lag, beschlossen, den Schwerpunkt der Unterstützung mehr auf den Nachwuchsbereich zu legen.

Das BBS-Paralympische-Förderteam besteht aus maximal fünf Athletinnen und Athleten aus dem Nachwuchs- und Perspektivbereich unseres Landesverbandes. Mit der Aufnahme ins Team sind neben einer finanziellen Unterstützung auch verschiedene Aufgaben verbunden, die im Rahmen einer Vereinbarung mit dem einzelnen Athleten festgehalten werden, wie zum Beispiel die Unterstützung in Übungsleiterausbildungen oder bei Projekten. Dabei sollen unsere Förderteam-Mitglieder auch andere Facetten des Behinderten- und Rehasports kennen lernen, verbunden mit einer engeren Bindung an den BBS.

Was steckt hinter dem BBS-Club 100? Kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen?

Mit dem BBS-Club 100 bietet der BBS einzelnen Personen oder Institutionen die Möglichkeit, den Para Nachwuchssport in Baden direkt zu unterstützen. Eine Mitgliedschaft erstreckt sich über ein Jahr und kostet 100,-€, dabei fließen 100% in die Nachwuchsarbeit. Der Grundgedanke bei der Gründung war, 100 Förderern – daher der Name BBS-Club 100 - die Möglichkeit zu geben, ein Teil des sportlichen Erfolges zu sein. Aktuell haben wir knapp 60 Mitglieder, es sind also noch Plätze frei.  

Was wünschst du dir für die Zukunft des Parasports?

Kurz und knapp: Dass der Parasport in all seinen Facetten – mit Sportlerinnen und Sportlern von leichten bis zu schwersten Beeinträchtigungen – erhalten bleibt und nicht als bloßes Anhängsel des olympischen Sports aufgeht, ist von großer Bedeutung. Jede paralympische Athletin und jeder Athlet trägt eine einzigartige, persönliche Geschichte in sich – oft geprägt von einem Schicksalsschlag und dem durch den Sport zurückgewonnenen Lebensmut.