Saisonauftakt Para Ski Nordisch in Kanada

Zwei Brüder wollen Geschichte schreiben

Acht Athletinnen und Athleten sowie fünf Guides vertreten Deutschland beim Weltcup-Saisonauftakt im Para Ski nordisch in Kanada. Unter ihnen: der sehbehinderte Theo Bold und sein Guide Jakob Bold, die sich in Canmore für die Paralympics 2026 qualifizieren wollen – auf den Spuren eines Superstars des Para Sports.

60 Sekunden dauert der Werbespot, der zu den Paralympics in Peking vor vier Jahren eine emotionale Geschichte erzählte. Die Geschichte von Brian McKeever und seinem älteren Bruder Robin. Die Geschichte, wie sie aufwuchsen, wie sie olympische Träume teilten, wie Brian mit 19 die Augenkrankheit Morbus Stargardt diagnostiziert bekam und wie aus Robin der Guide und aus Brian der Beste seiner Klasse wurde. Zwischen 2002 und 2022 holte Brian McKeever bei fünf Paralympics-Teilnahmen 16 Goldmedaillen, so viele wie zuvor nur der deutsche Para Ski alpin-Fahrer Gerd Schönfelder. 2010 erstaunte McKeever, als er sich eine Nominierung für den kanadischen Olympia-Kader ergatterte.
Starten durfte er in Vancouver nicht. Das ändert aber nichts an dem Status, den der heute 46-jährige Coach des kanadischen Para Ski nordisch-Nationalteams genießt. „Es ist schlicht beeindruckend, was der Mann geschafft hat. Er ist der Star unseres Sports“, sagt Theo Bold über McKeever. In den nächsten Tagen wird der 19-Jährige vom WSV Isny seinem Vorbild in dessen Heimatort Canmore häufiger begegnen – bei seinem Versuch, zumindest in einer Beziehung in McKeevers Fußstapfen zu treten. Theo Bold will sich mit seinem zwei Jahre älteren Bruder als Begleitläufer für die Paralympics 2026 qualifizieren.

Eine besondere Energie

Die gemeinsame Wintersport-Geschichte von Theo und Jakob Bold begann vor etwa sieben Jahren, als die Familie aus dem Westen der Republik ins schwäbische Rottenburg zog. Über den Papa und einen Nachbar kamen sie mit Skilanglauf in Kontakt. Und Theo, der einen angeborenen Nystagmus und (wie McKeever) zehn Prozent Sehkraft hat, geriet mit seinem Talent schnell ins Visier des deutschen Nachwuchs-Bundestrainers Michael Huhn. 2020 nahm Theo im thüringischen Oberhof erstmals bei einer deutschen Meisterschaft teil – mit Jakob als Guide an seiner Seite. Im Interview mit dem Tagesspiegel verriet Brian McKeever 2022, dass er immer so habe sein wollen wie Robin und dass der Sport sie endlich zu Brüdern und besten Freunden gemacht hätte. Bei den Bolds stellt sich die Situation anders da. „Wir hatten schon immer ein sehr gutes Verhältnis“, sagt Theo und Jakob ergänzt. „Es war auch nie so, dass er so sein wollte wie ich, eher umgekehrt: Ich beneide ihn ein wenig.“

Im Gespräch mit den beiden ist eine faszinierende Energie zu spüren, ein Ineinandergleiten der Gedanken. „Sie sind ein cooles Team, sehr eng miteinander“, sagt der deutsche Bundestrainer Ralf Rombach. In den vergangenen zwölf Monaten konnte er die Bolds ausführlich beobachten und ist auch sportlich angetan. „Theo ist sehr schnellkräftig. Da sieht man, dass er früher Leichtathletik-Sprint gemacht hat. Was ihm noch etwas fehlt, ist die Ausdauer. Aber die wird mit jedem gesammelten Schneekilometer besser.“

Olympisches Flair in Trondheim erlebt

Im Dezember 2024 feierten Theo und Jakob Bold ihr Weltcup-Debüt im finnischen Vuokatti – und zeigten anschließend schnell, dass das Trainerteam nicht zu Unrecht große Stücke auf sie hält. Zweimal Platz sechs bei Langlauf-Sprints im Weltcup standen zu Buche, einer davon beim Paralympics-Testwettkampf in Val di Fiemme. Hinzu kam der siebte Platz im Para Sprint bei der nordischen Ski-Weltmeisterschaft in Trondheim – nicht nur wegen der Tausenden von Zuschauern und den Kontakten zu den olympischen Athleten ein unvergessliches Erlebnis. „So wie es da war, habe ich mir immer Olympia vorgestellt“, sagt Jakob Bold.

Ihre Ergebnisse haben dazu geführt, dass die Bolds in den Perspektivkader aufgenommen wurden, nach dem Paralympicskader die zweithöchste Förderkategorie im Para Sport. Darüber erhalten sie monatlich finanzielle Mittel, die es den beiden erlauben, sich neben ihrem Studium ganz auf den Sport zu konzentrieren. „Es ist eine riesengroße Ehre, in diesem Kader zu sein“, sagt Theo Bold.

Während sein Bruder an der Universität Freiburg in Medizin promoviert, hat er im Herbst ein Studium der Volkswirtschaftslehre begonnen. Seitdem lebt er in einer vom Olympiastützpunkt Freiburg zur Verfügung gestellten Sport-Wohngemeinschaft mit dem Mountainbiker Paul Schehl, dem Triathleten Jan Diener und der Ringerin Vanja Gersak‑Perez. Der Umzug ins Breisgau hat dazu geführt, dass sich die Bolds wieder beinahe täglich sehen – zufällig an der Uni oder geplant im Training. Und zuletzt profitierten sie sogar von einem Umstand, der in den vergangenen Jahren Ende November Seltenheitscharakter hatte: Es lag Schnee im Schwarzwald, wo die Mannschaft ihren Trainingsschwerpunkt hat.

Heißes Rennen um die Kaderplätze

Der Fokus lag in den finalen Wochen der Saisonvorbereitung auf der Klassik-Technik. Ziel: den letzten Punch zu holen. In Canmore stehen zwei Klassisch-Rennen über zehn Kilometer an, dazu ein Sprint in der freien Technik. Der Sprint ist ihre Distanz, hier wollen sie sich beweisen – und sich für die Paralympics qualifizieren. Die Tickets sind allerdings umkämpft. Es stehen je sieben Startplätze für die deutschen Frauen und Männer zur Verfügung, bei den Männern ist der Bewerberkreis höher. Drei Athleten, die sich Hoffnung machen, werden die Reise nach Italien verpassen. „Das ist natürlich ein Thema in der Mannschaft, aber kein negatives“, berichtet Theo. „Uns beflügelt das eher. Wir haben nichts zu verlieren.“
Nach Kanada ist der deutsche Tross nicht vollzählig gereist. Vier Frauen und vier Männer (plus fünf Guides) gehen den Auftakt vom 4. bis 14. Dezember an; nach den drei Para Skilanglauf-Rennen folgen noch drei Para Biathlon-Wettkämpfe. 20 Stunden dauerte die Anreise am Montag, um 19.30 Uhr (Ortszeit) war die Mannschaft im Hotel, „sehr müde, aber in gelöster Stimmung“, wie Ralf Rombach berichtete.

Der Rest des Kaders greift erst im neuen Jahr ins Geschehen ein – bei gleich zwei Weltcup-Heimspielen (8. bis 11. Januar, Para Biathlon am Notschrei im Schwarzwald und 14. bis 17. Januar, Para Langlauf in Finsterau im Bayerischen Wald). Das Weltcup-Finale steigt bereits kurz darauf im polnischen Jakuszyce (22. Januar bis -1. Februar, Para Biathlon und Para Langlauf). Danach beginnen die unmittelbaren Vorbereitungen auf die Paralympics (6. bis 15. März) und den Weg nach Val di Fiemme, wo möglicherweise neue Legenden geboren werden.

Das deutsche Aufgebot für den Weltcup-Start (Name, Alter, Geburtsort, Verein):

Frauen mit Sehbeeinträchtigung: Johanna Recktenwald (24 / St. Wendel / Biathlon-Team Saarland, Guide: Emily Weiß / 22 / Freiburg / SV Kirchzarten), Leonie Walter (21 / Freiburg / SC St. Peter, Guide: Christian Krasman / 24 / Stühlingen / Ski-Club Schönwald – in den ersten Rennen krankheitsbedingt vertreten von Florian Winker, SSV Spaichingen)

Frauen sitzend:
Andrea Eskau (54 / Apolda / USC Magdeburg), Anja Wicker (33 / Stuttgart / MTV Stuttgart)

Männer mit Sehbeeinträchtigung: Theo Bold (19 / Velbert / WSV Isny, Guide: Jakob Bold / 21 / Essen / WSV Isny), Nico Messinger (30 / Freiburg / Ring der Körperbehinderten Freiburg, Guide: Robin Wunderle / 27 / Freiburg / SC Todtnau), Lennart Volkert (22 / Berlin / PSV München, Guide: Nils Kolb / 22 / Freiburg / SV Kirchzarten)

Männer stehend: Sebastian Marburger (28 / Frankenberg (Eder) / SK Wunderthausen)

Der Zeitplan für Canmore:

Donnerstag, 4. Dezember: Langlauf, 10 km Einzelstart, klassisch
Samstag, 6. Dezember: Langlauf-Sprint (1 km sitzend, 1,5 km stehend und sehbehindert), freie Technik
Sonntag, 7. Dezember: Langlauf 10 km Massenstart, klassisch
Donnerstag, 11. Dezember: Biathlon Sprint (7,5 km)
Samstag, 13. Dezember: Biathlon Sprint-Verfolgung (2,4 km sitzend, 3,6 km stehend und sehbehindert)
Sonntag, 14. Dezember: Biathlon-Einzel (12,5 km)

Weitere Informationen zum Team: https://www.nordski.de
Übersicht über alle Ergebnisse und Termine:
Para Langlauf: Ergebnisse und Termine
Para Biathlon: Ergebnisse und Termine

Quelle: DBS

Fotos: Marcus Hartmann / Gate3 Photo Agency

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